Die Struktur eines Wolfsrudels
Warum ist der Hund stets bemüht, sich in die Familie seines Herrn zu integrieren, und warum kann er nicht alleine sein? Die Antwort ist so kurz wie einfach: Weil der Wolf, sein Urvater, nicht alleine sein kann und ausschließlich für sein Rudel lebt. Es gibt Ausnahmen, den allseits bekannten Lonewolf. Dazu später mehr.
Ein Wolfsrudel ist streng hierarchisch organisiert, an deren Spitze das
α-Männchen und das α-Weibchen stehen (α sprich alpha).
Gefolgt werden sie in der hierarchischen Struktur unmittelbar von den beiden
Betas (dem β-Rüden und dem β-Weibchen). Die Omegas nehmen den
untersten Rang ein und haben sich allen anderen unterzuordnen. Wie die
Rudelstruktur in den mittleren Rängen, unterhalb der Betas und oberhalb der
Omegas beschaffen ist, darüber gibt es kontroverse Meinungen. Allgemein nimmt man an,
dass die hierarchische Struktur linear verläuft, d.h. man stellt sich die
Hierarchie des Rudels wie eine Leiter vor, auf deren Sprossen sich jeweils ein
Weibchen und ein Rüde befinden. Häufig wird jedoch die These vertreten, dass
die Grenzen der Ränge zwischen den Betas und den Omegas zuhmens unschärfer,
also indifferenter werden.
Gewöhnlich sind die rangniederen Tiere direkte Nachkommen der
Alphas.
Links ist die typische Zusammensetzung eines Wolfsrudels dargestellt
In der Tat scheinen die Voraussetzungen, die ein Wolf erfüllen muss, um die
Führungsposition einnehmen zu können, komplexer zu sein als allgemein angenommen
wurde und meistens noch wird. Es wurden schon einige Wolfsrudel beobachtet,
deren Führung nicht das stärkste Exemplar übernommen hatte. In ihnen nahm der
stärkste Rüde die Position des Betas ein und übernahm seinen physischen
Fähigkeiten entsprechend die Aufgabe eines "Ordnungshüters". Zweifellos war
er von den anderen Wölfen gefürchtet, jedoch nicht besonders beliebt. Und so
war er verdammt der ewige Zweite zu sein.
Auch hat man beobachten können, dass die Führung des Rudels
von einem α-Weibchen übernommen wurde. Dies geschieht häufig,
wenn die α-Fähe trächtig ist. Dann sucht sie den geeigneten
Ort (die geeignete Höhle) aus, wo sie ihre Welpen werfen wird. Somit
bestimmt sie, wo sich das Rudel die nächste Zeit über aufhalten
wird. Denn die Pflege und Aufzucht der Welpen ist eine Pflicht aller
Rudelmitglieder.
Meistens sind es die Onkel und Tanten, die sich näher mit den Welpen
beschäftigen, sie füttern und mit ihnen spielen.
Bereits in sehr jungem Alter beginnen sich hierarchische Strukturen bei den
Welpen auf spielerischem Wege herauszukristallisieren. Diese Rangkämpfe
können im Alter von 8 Wochen jedoch recht blutig ausfallen. Auch
später wird die Stellung im Ranggefüge durch entsprechende Gesten
und kleinere 'Rügen' gefestigt. Jedoch sollte man sich das Ranggefüge eines
Wolfsrudels keinesfalls als ein statisches Gebilde vorstellen, denn jeder
Wolf ist bestrebt, in der Karriereleiter aufzusteigen und beobachtet stets
die einzelnen sozialen Bindungen der Rudelangehörigen. Zeigen sich
Schwächen bei den Alphas kann das gesamte Ranggefüge des Rudels
auseinanderbrechen und sich neu bilden. Dann durchläuft das Rudel eine
kurze Phase intensiver Rangkämpfe.
Ebenso dynamisch wie das Ranggefüge ist auch die Größe des
Rudels, die über die Jahre stark fluktuieren kann. Dabei ändern
Abwanderung von Jungtieren, altersbedingte Ausfälle von Alttieren und
eventuelle Neuzugänge das Gesicht des Rudels und sorgen für einen stetigen
Wandel der sozialen Bindungen und des Ranggefüges.
Meist wandern Jungwölfe ab, die innerhalb des Familienverbandes nur sehr
geringe Chancen haben, sich fortzupflanzen. Sie verlassen das Rudel
gewöhnlich in den ersten ein bis drei Jahren. Durchschnittlich wandern diese
Jungtiere auf ihrer Suche nach einem geeigneten Territorium und einem
Geschlechtspartner gut 100 km. Sehr häufig sind die Abwanderungsentfernungen
bedeutend größer. In Nordamerika wurde mit Hilfe eines Senders die
Abwanderung eines Wolfes verfolgt, der dabei eine Strecke von über 917 km
Luftlinie zurückgelegt hat. So werden Gebiete erschlossen, die bislang nicht
von Wölfen besiedelt sind oder Territorien neu besiedelt, die aus
unterschiedlichen Gründen frei geworden sind − so z.B. Wölfe, die sich an
der deutsch-tschechischen Grenze ansiedelten.
Wolfsrudel besetzen Territorien, also Gebiete, die gegen Eindringlinge, die
der selben Art angehören, verteidigt werden. Die Größe eines solchen
Territoriums hängt dabei von der Dichte des Beutebestandes und der Größe des
Rudels ab und schwankt von weniger als 100 km2 in Gebieten mit
starken Beutevorkommen und mehreren 1000 km2 im Norden. Dabei kann
es durchaus zu Überlappungen der Grenzen zweier Territorien kommen.
Direkte Zusammenstöße zwischen territorialen Wölfen und Eindringlingen sind
selten, jedoch geprägt von starken Aggressionen. So enden sie häufig mit
schweren Verletzungen und sogar mit dem Tod der Kontrahenten.
Damit ein so komplexes Gefüge, wie es in einer Wolfspopulation besteht,
möglichst reibungsfrei funktionieren kann, bedarf es an Möglichkeiten der Kommunikation. Wölfe
müssen in der Lage sein, die Anwesenheit eines Rudels über weite Strecken
hinweg und auf Dauer anzeigen zu können. Über das
Heulen kann dies über weite
Entfernungen hin kurzfristig geschehen. Sogar in bewaldeten Gebieten ist das
Geheul eines Rudels über 6km weit zu vernehmen.
Duftmarken dagegen sind lokal sehr stark eingeschränkt, bleiben jedoch über
einen Zeitraum von mehreren Wochen über als Signal beständig. Sie bestehen aus
Kot, Sekreten oder Urinspritzern an Bäumen, Sträuchern und auch Gräsern.
Anders als weitläufig vermutet, werden Duftmarken nicht nur an den Grenzen
des Territoriums gesetzt sondern mehr oder weniger wahllos im ganzen Gebiet
verteilt. Lediglich Straßen und Wege werden dabei bevorzugt.
Die wichtigste Informationsquelle ist dabei der Urin, aus dem ein
passierender Eindringling einiges über die Identität des Markierenden erfahren
kann, wie Alter, Rang und Fortpflanzungsstatus. Dabei runden Kot und
Absonderungen aus Drüsen der Pfotenballen das Geruchsprofil ab.
Zuletzt geändert am 21.04.2020